Sie befinden sich hier

Inhalt

13.05.2020 10:28

ACE-Bluthochdruck-Hemmer als Therapie im Kampf gegen COVID-19?

Weltweit erste klinische Studie unter Leitung des Klinikums St. Georg gestartet

Bestimmte Medikamente, die zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt werden, könnten auch eine positive Wirkung bei COVID-19-Patienten haben. Diese Wechselwirkung will das Klinikum St. Georg Leipzig in seiner Klinik für Infektiologie/Tropenmedizin, Nephrologie und Rheumatologie in der weltweit ersten kontrollierten klinischen Studie zu dem Thema erforschen. Unterstützung in Bezug auf die grundlagenwissenschaftlichen Aspekte erhält das Klinikum vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) Leipzig, einem führenden Labor in Hannover und - wegen der nötigen telemedizinischen Betreuung in Quarantäne - dem ICCAS der Universität Leipzig. Eine Studien-App ermöglicht die überregionale Einbindung von Patienten und die Vereinfachung von Abläufen.


Experten arbeiten überregional und interdisziplinär zusammen

Als Kompetenzzentrum für Infektiologie im mitteldeutschen Raum möchte das Klinikum St. Georg in verschiedenen Studien die persönliche medizinische Betreuung mit einer möglichst effektiven wissenschaftlichen Untersuchung der COVID-19-Infektion und zukünftigen Beherrschung der Pandemie in Verbindung bringen. Unter Beteiligung der Abteilungen Nephrologie und klinische Studien beschäftigt sich eine dieser Studien mit der Wirksamkeit von Medikamenten, die eigentlich zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt werden. Bis zu 20% der deutschen erwachsenen Bevölkerung (ca. 16 Millionen) nehmen zur Behandlung einer Bluthochdruckerkrankung derartige Medikamente aus der Klasse der ACE-Inhibitoren bzw. Angiotensin-Rezeptor-Blocker ein. „Ich freue mich sehr, dass dieses ambitionierte gemeinsame Projekt richtig Fahrt aufnimmt und wir hier die weltweit erste randomisierte Umstellungsstudie zur wichtigen Frage der ACE-Hemmer bei COVID-19 anschieben konnten, die dank der übergreifende Zusammenarbeit aller Beteiligten möglich wird. Vor dem Hintergrund dieser kontrollierten klinischen Studie erwarten wir genügend Informationen zur Wirksamkeit bestimmter Blutdruckmedikamente “ betont Prof. Beige, Chefarzt der Abteilung für Nephrologie am Klinikum St. Georg. Solche kontrollierten Studien gelten als „härteste Währung“ im wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Neben der Durchführung und Koordinierung der neuen Studie mit externen Partnern, arbeitet das Klinikum St Georg auch intern eng zusammen, um so viel wie möglich über das Coronavirus und die COVID-19 Erkrankung zu erfahren. Ein umfängliches Biobanking von Laborproben der Patienten im eigenen Medizinischen Zentrallabor und die GCP-gerechte (Good Clinical Practice) Studiendurchführung über die Apotheke haben die Etablierung der neuen Studie ermöglicht. „Damit wird nicht nur das laufende Projekt abgesichert, sondern bilden auch eine Grundlage für zukünftige Projekte“, so Prof. Beige.

 

App erweitert Studienmöglichkeiten

Prof. Thomas Neumuth und Alexander Oeser vom ICCAS (Innovation Center Computer Assisted Surgery) haben für die Studie eine App programmiert, die die Patientenbetreuung unter Quarantäne zuhause ermöglicht. „Die App hat den Vorteil, dass persönliche Vorstellungen der Patienten im Prüfzentrum nur ein einziges Mal fünf Tage nach COVID-19 Ausheilung nötig sind und die Studie auch örtlich entfernte Patienten über das Leipziger Studienzentrum einbeziehen kann, was die Abläufe erheblich vereinbart. Der Patient gibt seine studienrelevanten Daten hauptsächlich selbstständig ein, wodurch er Datenhoheit und Teilhabe gewinnt. Dank der App ist es uns möglich, diese große Studie mit 300 Patienten anzugehen“, erklärt Prof. Thomas Neumuth, Direktor des ICCAS. 

 

Urinprobe als Anhaltpunkt für Entzündungswerte

Zusätzlich sollen spezielle Untersuchungen der Proteine im Urin (Urin-Proteome), durchgeführt von dem langjährigen wissenschaftlichen Partner Mosaiques Diagnostics aus Hannover, Aufschluss über mögliche Entzündungsreaktionen geben. „Inflammasome, sogenannte Multiproteinkomplexe des eigenen Immunsystems, können Entzündungsrektionen auslösen, die vielleicht auch über den gefürchteten „Zytokinsturm“ (Überreaktion des Immunsystems) bei COVID-19 Patienten Auskunft geben können“, fasst der Direktor von Mosaiques Diagnostics Dr. Harald Mischak zusammen. Die Untersuchung des Urins hat im Gegensatz zur Blutprobe folgende Vorteile: Es ist für die Patienten in Quarantäne zu Hause gut handhabbar, kann mit der Post verschickt und innerhalb eines Tages untersucht werden. Das Ergebnis soll Auskunft liefern, inwieweit der Patient gefährdet ist und doch ins Krankenhaus muss. Begleitet wird diese Evaluation durch die kontrollierte Therapiestudie, wo wiederum mit Hilfe der App der häusliche Zustand selbst vom Patient eingeben wird. Die Daten werden täglich geprüft, sodass die Mediziner ggf. schnell eingreifen könnten. Bei fehlendem Dateneingang wird versucht, telefonisch Kontakt mit dem Patienten herzustellen. Gelingt dies nicht, wird der Rettungsdienst verständigt.

 

Neue Technik zur Erkennung von Antikörper-Bindungsstellen


Eine ganz neue Technik der Erkennung von Antiköper-Bindungstellen (Epitopen) wendet das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (Fraunhofer IZI) an, wie Arbeitsgruppenleiter Dr. Michael Szardenings beschreibt: „Die Technologie basiert auf  Peptidbibliotheken, die auf der Oberfläche von Bakteriophagen präsentiert werden. Sie ermöglicht es, die Peptidsequenzen effizient zu identifizieren, die von den Antikörpern der Patienten auf den Virenerkannt werden. Wir gehen davon aus, dass Variationen in der Immunantwort teilweise relevant für den Krankheitsverlauf sein können“. Denn, sollten solche Variationen der Epitope gefunden werden, können sie idealerweise mit dem Erkrankungsverlauf assoziiert werden und/oder Anhaltspunkte für Tests, Impfstoffe oder neue Medikamente bieten. „Wir haben die Hypothese, dass es neben der Blockierung der bekannten ACE2 / TMPSSR Bindungsstelle andere wichtige molekulare Strukturen gibt, deren Bindung durch Antikörper womöglich den sehr unterschiedlichen Krankheitsverlauf erklären könnten“, führt Dr. Szardenings weiter aus.

Kontextspalte